Agilophil-Daily Podcast Episode 03: Agile Werte

Doppelte Arbeit in der Hälfte der Zeit!

Wenn Sie agil werden (bzw. Scrum einsetzen), schaffen Sie die doppelte Arbeit in der Hälfte der Zeit…das klingt doch gut, oder?

Dieses Versprechen von Jeff Sutherland, einem der Erfinder von Scrum, verleitet viele Vorstände oder Manager zu einem Trugschluss: Es gibt da ein Tool, und wenn ich das einführe, dann werde ich so erfolgreich, dass die nächste Beförderung nicht mehr zu verhindern ist. 

Denn- ich- als Manager-  muss mich ja um nichts kümmern, ich habe ja das neue Wundertool – und dazu kaufe ich mir einfach so einen neuen, teuren Agile-Coach oder externen Scrum-Master und so kann ich mich ruhig in meinem Chefsessel zurücklehnen und meinem Vorstand zeigen: Tja – in meiner Abteilung läuft alles super, denn ich habe die richtigen Entscheidungen getroffen. Alle Projekte werden plötzlich schneller fertig, die Kosten laufen nicht mehr aus dem Ruder und meine Abteilungskennzahlen sind alle so grün, dass ich der neue Star des Unternehmens werde…und am Ende des Jahres kaufe ich mir dann den neuen Porsche Cayenne und den Pool, mit dem ich schon immer bei meinen Grillparties angeben wollte….

Stopp Stopp Stopp – aufwachen – raus aus den Träumen!!!

Das ist natürlich nicht so einfach, denn die Einlösung des Versprechens hat eine Kehrseite der Medaille: Das Ganze funktioniert nur, wenn die Einstellung zur Arbeit im gesamten Unternehmen überprüft (und in den meisten Fällen) auch geändert wird!

Hierarchien sind da eher hinderlich und – wenn das mit der Agilität wirklich um sich greift, dann säge ich ja an meinem eigenen Stuhl…oh…

Also suche ich lieber nach einem Weg, nach aussen agil zu sein und in der eigentlichen Unternehmenskultur und Struktur möglichst alles so zu lassen wie es ist…

Wir kommen langsam zu Kern des Ganzen: Man kann sich nicht waschen, ohne sich nass zu machen…Wenn Du agil sein möchtest, musst du die agilen Werte leben. Und wenn die Kultur und die Werte in Deinem Unternehmen anders sind, dann wird “agil” nicht funktionieren… denn die Werte sind die Basis:

Im Scrumguide wird zum Beispiel von folgenden Werten gesprochen:

  • Respekt
  • Mut
  • Offenheit
  • Commitment
  • Fokus

und jetzt vergleiche ich das mal mit den Werten, die Patrick Lencioni in seiner Pyramide zu den 5 Dysfunktionen eines Teams beschreibt:

das wären von unten nach oben gesehen

1. Vertrauen, 2. Konfliktbereitschaft, 3. Selbstverpflichtung, 4. gegenseitige Verantwortlichkeit und 5. Zielorientierung, 

Du stellst sicherlich fest, dass das sehr ähnlich klingt:

  • Vertrauen ist die Basis auf der ein Team zusammenarbeiten muss, und Vertrauen gelingt nur mit Respekt. 
  • Die Konfliktbereitschaft ist der nächste Punkt, denn nur mit ausgetragenen Konflikten findet das Team zusammen und dazu gehört der Mut unangenehme Dinge anzusprechen. 
  • Die Selbstverpflichtung wird im Scrum-Guid “Commitment” genannt ist sozusagen die Bekenntnis zu dem eigenen Wert der Arbeit und der eigenen Pflicht, diesen Wert zum Wohle des Team einzusetzen, 
  • Die gegenseitige Verantwortlichkeit gelingt nur mit dem Respekt vor anderen Fähigkeiten und Meinungen der anderen und bedeutet auch ein Loslassen von eigener Verantwortung
  • Und letztlich müssen wir uns alle im Team auf ein gemeinsames Ziel fokussieren, damit wir auch alle in eine Richtung denken und arbeiten und alles, was wir tun, nach diesem Ziel ausrichten.

Du sieht, hier sind die Regeln für die gute Zusammenarbeit im Team in den Scrumguide aufgenommen worden und diese sind Bestandteil von Scrum. Ohne diese Werte ist das, was Du  machst kein Scrum!

Scrum besteht also nicht nur aus den Meetings, den Sprints und aus Userstories sondern es steht auf dem Fundament der Werte.

Und so verhält es sich auch mit allen anderen Methoden und Techniken, die dem agilen Umfeld zugeordnet werden – wie z. B. Kanban: auch in Kanban müssen die Werte wirklich gelebt werden, damit es funktioniert – ebenso bei den agilen Organisationsformen wie es Jürgen Appello in Management 3.0 beschreibt oder OKR oder oder oder…

…und dieses ist das aktuell so oft genannte “agile Mindset” um das es geht.

Aber mit diesem Mindset verhält es sich so wie mit dem Autofahren…

Du erinnerst Dich bestimmt noch daran, wie es war, als Du gerade deinen Führerschein bestanden hattest und die ersten Kilometer alleine mit dem Auto unterwegs warst. Alles war neu und aufregend, Du hast über jeden Handgriff nachgedacht und dich gefragt, wann Du nun schalten sollst, mit welcher Geschwindigkeit du durch die Kurve fahren sollst und Du hattest bestimmt auch Schweißperlen auf der Stirn, als Du das erste mal in einem engen Parkhaus am Berg anfahren solltest, weil die Schranke vor Dir geschlossen war…und rückwärts einparken – oje, passe ich in diese kleine Parklücke?    

und heute? 

Denkst Du noch darüber nach, wann du schalten sollst oder tust Du es einfach, wenn du merkst, dass der Motor untertourig läuft oder zu hoch dreht? 

Und einparken? Ich komme aus Berlin und wenn Du da mal abends nach 23:00 nach hause gekommen bist – da fährt keiner mehr weg und alle Parkplätze in der Umgebung sind vergeben…und Du fährst 3 mal um den Block und muss langsam pinkeln…da lässt Du keine Lücke aus, auch wenn vorn und hinten nur noch eine Postkarte dazwischen passt…da weißt du genau, wie groß Dein Auto ist…

Es ist Dir in Fleisch und Blut übergegangen, wie man so schön sagt. Du denkst nicht darüber nach, du machst es, es ist für dich das natürlichste von der Welt.

…nach einen Scrum- oder Kanban-Training ist das genauso: Du hast gelernt, welche Werte von Bedeutung sind- und über die haben wir ja eben schon gesprochen –

Aber du denkst noch darüber nach, wie die zu leben sind, was bedeutet Mut – wann soll ich mutig sein und was ist der Unterschied zwischen Mut und Übermut? Wenn Du irgendwann nicht mehr über eine Fehlerkultur nachdenkst, sondern vermeintliche “Fehler” ganz natürlich aus Dir raus als wichtige Informationen interpretierst und du dir eine Frage nach einem “Schuldigen” gar nicht stellst sondern ganz automatisch nach einem Weg zur Prozessverbesserung nachdenkst, dann bist du auf dem richtigen Weg, dann hast Du die Werte verinnerlicht – und dann beginnt eine agile Methode – welche es immer auch ist – zu funktionieren…

Um das weiter zu verdeutlichen, möchte ich nochmal auf das “Commitment” eingehen, weil es hier öfters zu einem Mißverständnis kommt. 

Das englische “commitment” wird oft mit Selbstverpflichtung übersetzt und eine Art Selbstverpflichtung steckt in dem Begriff auch drin, wie ich das vorhin schon angedeutet habe…Aber diese Verpflichtung wird aktuell oft mißinterpretiert.

Es besteht gerade nicht in einem Eid oder Schwur, den ein Team im Scrum-Planungsmeeting leistet, dass all das, was es gerade geplant hat auch am Ende des Sprints genauso umsetzt werden muss. Oder eine Aufforderung an den Product Owner als eine Art Selbstgeisselung bildlich gesehen mit der Peitsche zuschlagen dazu dürfen, sollten einige Userstories nicht zu seiner vollständigen Zufriedenheit realisiert worden zu sein.

Nein: die Selbstverpflichtung ist ein Bekenntnis, sich einzubringen. Daher übersetze ich das “Commitment” auch lieber mit Bekenntnis und Du solltest das lieber für Dich folgendermassen verstehen: Ich bekenne mich zum Team, Ich bekenne mich dazu, all mein Wissen dem Team zur Verfügung zu stellen, Ich bekenne und verpflichte mich alles zu tun, was ich kann, damit das Team das selbst gewählte Sprintziel auch erreichten kann. Ich suche die Schuld nicht bei anderen sondern bekenne mich dazu selbst nach Lösungen zu streben und Dinge voran zu bringen.

Wenn Du das so interpretierst, dann wird da ein Schuh draus. Achte also darauf, dass insbesondere dass Thema Commitment in deiner Firma oder deinem Team nicht falsch verstanden wird und damit nur nochmehr äußerer Druck auf das Team ausgeübt wird.

Soweit erstmal zum Thema Werte generell. Ich werde zu den agilen Werten in absehbarer Zeit noch gesonderte Folgen bringen.

Ein letzen Hinweis habe ich noch: Der am Anfang zitierte Satz „Doppelte Arbeit in der Hälfte der Zeit“ bezieht sich auf das Buch von Jeff Sutherland: „The Art of Doing Twice the Work in Half the Time“. Als deutsche Entsprechung dazu gibt es „Die Scrum-Revolution“ von Jeff Sutherland als Hörbuch. Ich kann beides empfehlen als kurzweilige Werbung für Scrum, auch das englische Original ist einfach geschrieben und man kann es quasi nebenbei so weglesen. Das gilt auch für das Hörbuch in deutsch.

Dein agilophiler Frank