Ich war letztens in einem Projekt in einem ziemlich großen Konzern in einem ziemlich internationalen Umfeld. Eigentlich war ich als Scrum-Master engagiert und der Scrum-Prozess war auch schon aufgesetzt…aber irgendwie nicht ganz so, wie ich das erwartet hatte. Es gab zum Beispiel kein Review Meeting….auch Retrospektiven gab es immer nur nach Bedarf – aber eigentlich war dafür nicht wirklich Zeit vorgesehen…und es gab eigentlich kein wirklich definiertes Produkt, sondern eine lange Liste von Anforderungen, die in einem in Jira geführten Backlog standen…Da ich als Scrum-Master beauftragt war, fingen wir natürlich an Scrum zu verbessern…Aber das Team und der Product Owner waren nicht wirklich glücklich damit…
Es gab kein wirkliches Produkt, es gab immer wieder ad-hoc Anforderungen, die ins Backlog geschoben wurden – auch während des Sprints, es gab keine Stakeholder, die sich ein Review hätten ansehen können und so gab es noch eine Reihe von Dingen, die für einen Scrum-Prozess nicht optimal waren – wie sagt der Scrum-Guide bei sowas so schön…Du kannst gerne abweichen, aber dann ist es nicht Scrum!
Es war also kein Scrum…und daher machte es nach einer Weile auch keinen Sinn mehr gegen Windmühlenflügel zu kämpfen…Wozu mit aller Gewalt eine Methode umsetzen, wenn die Voraussetzungen und die Notwendigkeit dazu gar nicht gegeben sind?
Also schlug ich dem Team vor, es mal mit Kanban zu versuchen…Kanban ist ja „die andere“ große agile Methode…und sozusagen ein Bruder (oder eine Schwester) von Scrum…
Daher erzähle ich in der heutigen Folge mal ganz grob, worum es bei Kanban eigentlich geht…
Ich sagte ja bereits – Scrum und Kanban sind wir Bruder und Schwester…eng verwandt aber doch unterschiedlich…Während Scrum eine revolutionäre Methode ist, die erst erklärt und dann möglichst so – wie es im Scrumguide steht eingeführt werden sollte, ist Kanban eine evolutionäre Methode…In Kanban entwickeln sich die Dinge auf Basis der aktuellen Situation. Daher ist eines der Grundprinzipien von Kanban auch „Start where you are“ – also „beginne, wo du jetzt bist“.
Da bin ich auch schon beim ersten Thema – Kanban basiert auf 4 Grundprinzipien und 6 Kernpraktiken…die ich jetzt mal kur vorstellen möchte
Hier die Grundprinzipien:
- (hatten wir ja schon): Beginne da, wo du stehst – also -> „Start where you are“
- Verfolge inkrementelle und evolutionäre Veränderungen
- Respektiere und wertschätze die aktuellen Vorgehensweisen, Rollen und Verantwortlichkeiten
- Ermutige zur Führung auf allen Ebenen
Was bedeutet das im Einzelnen?
Also das erste Grundprinzip – „Start where you are“ bedeutet, dass Du – anders als in Scrum – nicht einen bestehenden Prozess über den Haufen wirfst um einen Scrum-Prozess neu zu implementieren, sondern, dass es das Ziel ist, den vorhandenen Prozess oder Workflow erstmal weiter zu nutzen. Das hat den Vorteil, dass so Kanban in jedem Unternehmen ohne große Anfangswiderstände eingeführt werden kann, da ja erstmal gar nichts geändert wird.
Aber was bringt das dann, wenn nichts geändert wird?
Da komme ich auch schon zum 2. Grundprinzip: – Verfolge inkrementelle und evolutionäre Veränderungen ! Darum geht es nämlich – Veränderungen sollen erreicht werden, nur eben nicht in Form einer Revolution – also mit dem großen Knall – sondern evolutionär, ganz sachte mit kleinen Änderungen…Der Vorteil kann (ist ja nicht immer der Fall) darin liegen, dass Angst und Unsicherheit vermieden wird – die ja oft mit grundlegenden großen Änderungen einher gehen…
In die Gleiche Richtung geht auch das 3. Grundprinzip: Respektiere und wertschätze die aktuellen Vorgehensweisen, Rollen und Verantwortlichkeiten. Für mich sehr sympathisch ist dieses Prinzip, denn es ist ja was dran. Dein Unternehmen oder Dein Team ist bis heute wahrscheinlich ganz gut mit der bisherigen Arbeitsweise zurecht gekommen und das hat Euch dahin gebracht, wo ihr jetzt seid. Diese Erfolge zu würdigen, ist gerechtfertigt – und hilft natürlich dabei, die kleinen inkrementellen Veränderungen herbeizuführen, die dennoch notwendig sind. Angst behindert Fortschritt und Angst vor Kanban ist nicht notwendig…
Das 4. Grundprinzip „ Ermutige zur Führung auf allen Ebenen“ spricht das Selbstverständnis der Mitarbeiter – also auch Deines – direkt an…Hast Du schon mal von KAIZEN gehört – das aus Japan kommende Konzept der kontinuierlichen Verbesserung ist ein wesentliches Grundelement von Kanban. Die Umsetzung von KAIZEN erfordert ein Mitdenken aller Mitarbeiter -also egal ob Management oder Mitarbeiter – egal ob Unternehmensleitung oder Fließbandarbeiter (jawohl, Kaizen kommt ursprünglich aus der Industrie)…
So – auf Basis dieser 4 Grundprinzipien werden nun die 6 Kernpraktiken gelebt. Diese sind:
- Mache den Workflow sichtbar
- Begrenze die laufende Arbeit
- Mache die Regeln für den Prozess verständlich
- Messe, was passiert und kontrolliere den Fluß der Arbeit
- Führe Feedbackschleifen ein
- Nutze bewährte Modelle und wissenschaftliche Methoden zur kontinuierlichen Verbesserung
In Scrum geht es vorrangig um die Entwicklung eines Produktes und das Lernen auf dem Weg, in Kanban geht es vorrangig einen reibungslosen Arbeitsfluss…Wir möchten also schnell und reibungslos Arbeitselemente durch den Prozess bekommen und dabei unnötige Arbeit weitgehend vermeiden.
Dazu – und jetzt komme ich wieder auf die einzelnen Praktiken: 1. Mache den Workflow sichtbar: wir müssen erstmal sehen, wie unsere Arbeit überhaupt abläuft, also den Workflow darstellen. Am besten versteht man das, was man sieht, daher ist das Kanban-Board eines der wesentlichen Elemente im Kanban. Und das kennen wir im Prinzip auch aus Scrum, wo wir auch ein Scrum-Board oder Task-Board im Sprint verwenden. In Kanban wird das Board meistens etwas ausführlicher gestaltet, aber hier wird die Verwandtschaft von Scrum und Kanban sehr deutlich. Die Arbeit wird Karten dargestellt und wandert im Allgemeinen von links nach rechts über das Board von „offen“ durch die einzelnen Prozessschritte – bis zu „fertig“…
Die 2. Kernpraktik bezieht sich auf einen weit verbreiteten Irrtum…Der Irrtum ist anzunehmen, dass sowas wie „Multitasking“ möglich ist…Ist es nicht! – weder bei Frauen, noch bei Männern. Vielleicht kannst Du als Frau besser umschalten, aber umschalten müssen du auch! – Daher liegt die zweite Kernpraktik in der Begrenzung der laufenden Arbeit. (im englischen „Work in Progress“, also abgekürzt mit WIP). Und die Begrenzung des WIP wird dann WIP-Limit genannt. Wenn jeder nur noch ein oder zwei To Do’s haben darf, dann kann man sich nicht zwischen 10 Projekten aufreiben, das leuchtet ein und darum geht es in dieser Praktik.
Der nächste Punkt ist Praktik Nr. 3: Mache die Regeln für den Prozess verständlich
Nach dem Sehen des Workflows kommt das Verstehen…Jeder Arbeitsprozess hat Regeln, nach denen entschieden werden kann, wie ein Stückchen Arbeit behandelt wird. Ein bekanntes Beispiel für so eine Regel ist die Definition of Done – die wir auch aus Scrum kennen. Wir müssen alle gemeinsam dasselbe Verständnis davon haben, wann ein Schritt nun fertig ist und wann nicht…
So komme ich nun zu Praktik Nr. 4: Messe, was passiert und kontrolliere den Fluß der Arbeit
Hier schauen wir der Wirklichkeit in die Augen – Eine der wichtigsten Informationen im Workflow ist zum Beispiel die Durchlaufzeit. Wie lange hat eine Aufgabe gebraucht, um von „offen“ bis zu „fertig“ zu wandern. Anhand solcher Informationen können wir dann auch verlässliche Aussagen für unsere Kunden treffen – die Durchlaufzeiten werden variieren, aber eine Aussagen, dass wie mit einer 80%igen Wahrscheinlichkeit die Aufgaben in 14 Tagen erledigt haben werden, beruhigt doch ungemein…um solche Aussagen treffen zu können, müssen wir messen und kontrollieren.
Die Nr. 5 der Kanban-Praktiken ist „ Führe Feedbackschleifen ein“
Auch das kennen wir schon aus Scrum – da heißt die Feedbackschleife „Retrospektive“ oder auch das Daily Scrum kann man als Feedbackschleife verstehen…ein Daily Standup gibt es in Kanban auch, den das Team will auch hier wissen, wo jeder steht, und wo ggf. Hilfe notwendig ist oder man vielleicht auch Unterstützung bekommen kann. Retrospektiven sind in Kanban zwar nicht im Prozess fix verankert, aber in bestimmten Intervallen auch auf jeden Fall wichtig, da es ja um kontinuierliche Verbesserung der Teamarbeit geht.
Die letzte Kernpraktik in Kanban ist nun Nr. 6: nutze bewährte Modelle und wissenschaftliche Methoden zur kontinuierlichen Verbesserung
Eine der hier wesentlichen Modelle ist die Enpasstheorie. Wie in der Physik fließt das Wasser auch nur so schnell, wie es an der engsten Stelle fließen kann…daher geht es immer wieder darum, Engpässe zu identifizieren und letztlich auch zu beheben. Da es immer mehrere Engpässe geben wird, startet man mit dem „engsten“….und arbeitet sich dann Stück für Stück vor. Das heißt – die Beseitigung eines Engpasses wird einen neuen Engpass aufdecken. Hier treffen wir wieder auf die Iterationen, die wir ja auch schon aus Scrum kennen.
Fazit: Du siehst, Kanban und Scrum basieren auf ähnlichen Werten und Prinzipien und haben auch teilweise gleiche Elemente. Daher macht es auch aus meiner Sicht keinen Sinn beide gegeneinander auszuspielen…Ich habe – durchaus auch in meiner Kanban-Schulung – Sätze gehört wie – wir müssen ein kaputtes Scrum durch Kanban reparieren….Ich halte da gar nichts von, ehrlich gesagt, letztlich sprechen wir hier nicht von konkurrierenden Methoden, sondern von Geschwistern, die nicht gegeneinander arbeiten sollten, sondern sich wunderbar ergänzen können. Scrum geht eher auf den Nutzen, das Produkt und das Ergebnis, Kanban eher auf den Flow, den harmonischen und schnellen effizienten Arbeitzprozess…
Ob nun Scrum oder Kanban – das kommt ganz drauf an….mal passt das eine besser, mal das andere…
Insofern wünsche ich Dir noch eine schöne Zeit…
Tschüß
Dein agilophiler Frank