Agilophil-Daily Podcast Episode 19: Wir sprechen immer über Scrum, was ist eigentlich Kanban?

Ich war letztens in einem Projekt in einem ziemlich großen Konzern in einem ziemlich internationalen Umfeld. Eigentlich war ich als Scrum-Master engagiert und der Scrum-Prozess war auch schon aufgesetzt…aber irgendwie nicht ganz so, wie ich das erwartet hatte. Es gab zum Beispiel kein Review Meeting….auch Retrospektiven gab es immer nur nach Bedarf – aber eigentlich war dafür nicht wirklich Zeit vorgesehen…und es gab eigentlich kein wirklich definiertes Produkt, sondern eine lange Liste von Anforderungen, die in einem in Jira geführten Backlog standen…Da ich als Scrum-Master beauftragt war, fingen wir natürlich an Scrum zu verbessern…Aber das Team und der Product Owner waren nicht wirklich glücklich damit…

Es gab kein wirkliches Produkt, es gab immer wieder ad-hoc Anforderungen, die ins Backlog geschoben wurden – auch während des Sprints, es gab keine Stakeholder, die sich ein Review hätten ansehen können und so gab es noch eine Reihe von Dingen, die für einen Scrum-Prozess nicht optimal waren – wie sagt der Scrum-Guide bei sowas so schön…Du kannst gerne abweichen, aber dann ist es nicht Scrum!

Es war also kein Scrum…und daher machte es nach einer Weile auch keinen Sinn mehr gegen Windmühlenflügel zu kämpfen…Wozu mit aller Gewalt eine Methode umsetzen, wenn die Voraussetzungen und die Notwendigkeit dazu gar nicht gegeben sind?

Also schlug ich dem Team vor, es mal mit Kanban zu versuchen…Kanban ist ja „die andere“ große agile Methode…und sozusagen ein Bruder (oder eine Schwester) von Scrum…

Daher erzähle ich in der heutigen Folge mal ganz grob, worum es bei Kanban eigentlich geht…

Ich sagte ja bereits – Scrum und Kanban sind wir Bruder und Schwester…eng verwandt aber doch unterschiedlich…Während Scrum eine revolutionäre Methode ist, die erst erklärt und dann möglichst so – wie es im Scrumguide steht eingeführt werden sollte, ist Kanban eine evolutionäre Methode…In Kanban entwickeln sich die Dinge auf Basis der aktuellen Situation. Daher ist eines der Grundprinzipien von Kanban auch „Start where you are“ – also „beginne, wo du jetzt bist“.

Da bin ich auch schon beim ersten Thema – Kanban basiert auf 4 Grundprinzipien und 6 Kernpraktiken…die ich jetzt mal kur vorstellen möchte

Hier die Grundprinzipien:

  1. (hatten wir ja schon): Beginne da, wo du stehst – also -> „Start where you are“
  2. Verfolge inkrementelle und evolutionäre Veränderungen
  3. Respektiere und wertschätze die aktuellen Vorgehensweisen, Rollen und Verantwortlichkeiten
  4. Ermutige zur Führung auf allen Ebenen

Was bedeutet das im Einzelnen?

Also das erste Grundprinzip – „Start where you are“ bedeutet, dass Du – anders als in Scrum – nicht einen bestehenden Prozess über den Haufen wirfst um einen Scrum-Prozess neu zu implementieren, sondern, dass es das Ziel ist, den vorhandenen Prozess oder Workflow erstmal weiter zu nutzen. Das hat den Vorteil, dass so Kanban in jedem Unternehmen ohne große Anfangswiderstände eingeführt werden kann, da ja erstmal gar nichts geändert wird. 

Aber was bringt das dann, wenn nichts geändert wird?

Da komme ich auch schon zum 2. Grundprinzip: – Verfolge inkrementelle und evolutionäre Veränderungen ! Darum geht es nämlich – Veränderungen sollen erreicht werden, nur eben nicht in Form einer Revolution  – also mit dem großen Knall – sondern evolutionär, ganz sachte mit kleinen Änderungen…Der Vorteil kann (ist ja nicht immer der Fall) darin liegen, dass Angst und Unsicherheit vermieden wird – die ja oft mit grundlegenden großen Änderungen einher gehen…

In die Gleiche Richtung geht auch das 3. Grundprinzip: Respektiere und wertschätze die aktuellen Vorgehensweisen, Rollen und Verantwortlichkeiten.  Für mich sehr sympathisch ist dieses Prinzip, denn es ist ja was dran. Dein Unternehmen oder Dein Team ist bis heute wahrscheinlich ganz gut mit der bisherigen Arbeitsweise zurecht gekommen und das hat Euch dahin gebracht, wo ihr jetzt seid. Diese Erfolge zu würdigen, ist gerechtfertigt – und hilft natürlich dabei, die kleinen inkrementellen Veränderungen herbeizuführen, die dennoch notwendig sind. Angst behindert Fortschritt und Angst vor Kanban ist nicht notwendig…

Das 4. Grundprinzip „ Ermutige zur Führung auf allen Ebenen“ spricht das Selbstverständnis der Mitarbeiter – also auch Deines – direkt an…Hast Du schon mal von KAIZEN gehört – das aus Japan kommende Konzept der kontinuierlichen Verbesserung ist ein wesentliches Grundelement von Kanban. Die Umsetzung von KAIZEN erfordert ein Mitdenken aller Mitarbeiter -also egal ob Management oder Mitarbeiter – egal ob Unternehmensleitung oder Fließbandarbeiter (jawohl, Kaizen kommt ursprünglich aus der Industrie)…

So – auf Basis dieser 4 Grundprinzipien werden nun die 6 Kernpraktiken gelebt. Diese sind:

  1. Mache den Workflow sichtbar
  2. Begrenze die laufende Arbeit
  3. Mache die Regeln für den Prozess verständlich
  4. Messe, was passiert und kontrolliere den Fluß der Arbeit
  5. Führe Feedbackschleifen ein
  6. Nutze bewährte Modelle und wissenschaftliche Methoden zur kontinuierlichen Verbesserung

In Scrum geht es vorrangig um die Entwicklung eines Produktes und das Lernen auf dem Weg, in Kanban geht es vorrangig einen reibungslosen Arbeitsfluss…Wir möchten also schnell und reibungslos Arbeitselemente durch den Prozess bekommen und dabei unnötige Arbeit weitgehend vermeiden.

Dazu – und jetzt komme ich wieder auf die einzelnen Praktiken: 1. Mache den Workflow sichtbar: wir müssen erstmal sehen, wie unsere Arbeit überhaupt abläuft, also den Workflow darstellen. Am besten versteht man das, was man sieht, daher ist das Kanban-Board eines der wesentlichen Elemente im Kanban. Und das kennen wir im Prinzip auch aus Scrum, wo wir auch ein Scrum-Board oder Task-Board im Sprint verwenden. In Kanban wird das Board meistens etwas ausführlicher gestaltet, aber hier wird die Verwandtschaft von Scrum und Kanban sehr deutlich. Die Arbeit wird Karten dargestellt und wandert im Allgemeinen von links nach rechts über das Board von „offen“ durch die einzelnen Prozessschritte – bis zu „fertig“…

Die 2. Kernpraktik bezieht sich auf einen weit verbreiteten Irrtum…Der Irrtum ist anzunehmen, dass sowas wie „Multitasking“ möglich ist…Ist es nicht! – weder bei Frauen, noch bei Männern. Vielleicht kannst Du als Frau besser umschalten, aber umschalten müssen du auch! – Daher liegt die zweite Kernpraktik in der Begrenzung der laufenden Arbeit. (im englischen „Work in Progress“, also abgekürzt mit WIP). Und die Begrenzung des WIP wird dann WIP-Limit genannt. Wenn jeder nur noch ein oder zwei To Do’s haben darf, dann kann man sich nicht zwischen 10 Projekten aufreiben, das leuchtet ein und darum geht es in dieser Praktik.

Der nächste Punkt ist Praktik Nr. 3: Mache die Regeln für den Prozess verständlich 

Nach dem Sehen des Workflows kommt das Verstehen…Jeder Arbeitsprozess hat Regeln, nach denen entschieden werden kann, wie ein Stückchen Arbeit behandelt wird. Ein bekanntes Beispiel für so eine Regel ist die Definition of Done – die wir auch aus Scrum kennen. Wir müssen alle gemeinsam dasselbe Verständnis davon haben, wann ein Schritt nun fertig ist  und wann nicht…

So komme ich nun zu Praktik Nr. 4: Messe, was passiert und kontrolliere den Fluß der Arbeit

Hier schauen wir der Wirklichkeit in die Augen – Eine der wichtigsten Informationen im Workflow ist zum Beispiel die Durchlaufzeit. Wie lange hat eine Aufgabe gebraucht, um von „offen“ bis zu  „fertig“  zu wandern. Anhand solcher Informationen können wir dann auch verlässliche Aussagen für unsere Kunden treffen – die Durchlaufzeiten werden variieren, aber eine Aussagen, dass wie mit einer 80%igen Wahrscheinlichkeit die Aufgaben in 14 Tagen erledigt haben werden, beruhigt doch ungemein…um solche Aussagen treffen zu können, müssen wir messen und kontrollieren.

Die Nr. 5 der Kanban-Praktiken ist „ Führe Feedbackschleifen ein“

Auch das kennen wir schon aus Scrum – da heißt die Feedbackschleife „Retrospektive“ oder auch das Daily Scrum kann man als Feedbackschleife verstehen…ein Daily Standup gibt es in Kanban auch, den das Team will auch hier wissen, wo jeder steht, und wo ggf. Hilfe notwendig ist oder man vielleicht auch Unterstützung bekommen kann. Retrospektiven sind in Kanban zwar nicht im Prozess fix verankert, aber in bestimmten Intervallen auch auf jeden Fall wichtig, da es ja um kontinuierliche Verbesserung der Teamarbeit geht.

Die letzte Kernpraktik in Kanban ist nun Nr. 6: nutze bewährte Modelle und wissenschaftliche Methoden zur kontinuierlichen Verbesserung

Eine der hier wesentlichen Modelle ist die Enpasstheorie. Wie in der Physik fließt das Wasser auch nur so schnell, wie es an der engsten Stelle fließen kann…daher geht es immer wieder darum, Engpässe zu identifizieren und letztlich auch zu beheben. Da es immer mehrere Engpässe geben wird, startet man mit dem „engsten“….und arbeitet sich dann Stück für Stück vor. Das heißt – die Beseitigung eines Engpasses wird einen neuen Engpass aufdecken. Hier treffen wir wieder auf die Iterationen, die wir ja auch schon aus Scrum kennen.

Fazit: Du siehst, Kanban und Scrum basieren auf ähnlichen Werten und Prinzipien und haben auch teilweise gleiche Elemente. Daher macht es auch aus meiner Sicht keinen Sinn beide gegeneinander auszuspielen…Ich habe – durchaus auch in meiner Kanban-Schulung – Sätze gehört wie – wir müssen ein kaputtes Scrum durch Kanban reparieren….Ich halte da gar nichts von, ehrlich gesagt, letztlich sprechen wir hier nicht von konkurrierenden Methoden, sondern von Geschwistern, die nicht gegeneinander arbeiten sollten, sondern sich wunderbar ergänzen können. Scrum geht eher auf den Nutzen, das Produkt und das Ergebnis, Kanban eher auf den Flow, den harmonischen und schnellen effizienten Arbeitzprozess…

Ob nun Scrum oder Kanban – das kommt ganz drauf an….mal passt das eine besser, mal das andere…

Insofern wünsche ich Dir noch eine schöne Zeit…

Tschüß

Dein agilophiler Frank

Agilophil-Daily Podcast Episode 16: Komplexität

Herzlich Willkommen zu einer neuen Folge vom agilophil-daily Podcast – hier erfahrt ihr alles, oder zumindest vieles, was sich mit dem Themenbereich „Agilität“ auseinandersetzt….Ich war gerade vor ein paar Tagen, also kurz nach der Wiedereröffnung der Läden nach dem Corona-Lock-Down hier in Berlin, in einem kleinen Geschäft um ein paar Schrauben zu kaufen…ich kam mit dem Verkäufer wahrscheinlich auch Ladenbesitzer kurz ins Gespräch – natürlich ging es wieder um das C-Wort.PAUSE..Er war nicht wirklich begeistert von der ganzen Situation und sein Fazit war „Wir werden alle verarscht“… nun ja – ich kann natürlich seine Verärgerung über die ganze Situation nachvollziehen, und begann, als ich aus dem Laden kam, mal drüber nachzudenken…Was meint er eigentlich damit?

Wir werden alle verarscht…- natürlich – weiß ich schon, was er meinte – er meinte, dass die Maßnahmen gegen das Coronavirus übertrieben gewesen seien…aber wer sollte uns denn verarschen? Wenn jemand jemanden verarscht, muss er doch einen Vorteil davon haben. Hat irgendein Virologe oder Politiker oder die Industrie einen Vorteil davon, wenn es der Wirtschaft im Land schlecht geht? ich denke nein…daher kam ich auf einen Gedanken…und daher wird die Folge heute mal etwas philosophischer…

Was ist das Leben?

Wie funktionieren wir Menschen?

Wie denken wir?

Wozu sind wir auf der Welt?

Wenn wir uns Fragen wie diese stellen, fällt es uns schwer eine Antwort zu finden. Warum? Was ist denn so schwierig daran die Frage nach dem Leben zu beantworten? – Alles, was wächst, lebt? – ist es das? – alles wo Stoffwechsel stattfindet, lebt – vielleicht auch das? – 

-Komplexität-…..ist das Thema der heutigen Folge

Als komplex bezeichnen wir etwas, das vielschichtig, verwoben, verflochten zusammenhängend und nicht auflösbar erscheint….und viele verschiedene Dinge umfasst….und aus vielen verschiedenen Dingen zusammengesetzt ist, die ineinandergreifen und nicht alleine für sich auftreten… und etwas, das sehr umfassend ist und deren Strukturen und Abhängigkeiten nicht sofort zu erkennen sind…es ist also etwas diffuses, zusammenhängendes, was zwar klar als ein System zu erkennen ist – also ein irgendwie abgeschlossenes Ganzes, in dem aber so viele Elemente zusammenarbeiten und wir auch nicht wissen, wie sie das genau tun. Bemerkenswerter Weise gibt es auch noch komplexe Systeme, die von der Umwelt lernen können und sich anpassen an äußere Gegebenheiten – diese nennt man dann adaptiv….uiuiui…..wenn ich darüber nachdenke, sind komplexe Syteme Wunderwerke, die wir nicht verstehen. Wir können allerdings ihr Verhalten in gewissen Grenzen verstehen – in dem wir beobachten und Erfahrungen sammeln. Manche dieser Systeme verhalten sich in gleichen Situataionen auch gleich oder zumindest ähnlich und so können wir Schlüsse daraus ableiten, auch wenn wir nicht verstanden haben, wie das System eigentlich genau funktioniert.

Diese eben genannten Definitionen habe ich mir aus verschiedenen Quellen zusammengesucht und verbunden – Du sieht daraus eins- selbst die Definition des Begriffes Komplexität ist offensichtlich eine komplexe Anglegenheit – …

Und jetzt schau Dich mal um… wieviele komplexe Systeme siehst Du um dich herum? Welche Beispiele hast Du? – Fangen wir mal einfach an – ich behaupte, der Mensch ist ein komplexes System – das behaupte ich nicht nur, das weiß ich: ein wahres Wunderwerk und wenn Du mal darüber nachdenkst, was diese Kombination aus Kohlenwasserstoffen – organischer Chemie mit ca. 80% Wasseranteil und einem Verbund an symbiotisch miteinander funktionierenden Bakterien  (die wir z. B. zur Verdauung brauchen) und elektrischer Impulse in den Nervenbahnen so zustande bringt und vermag, dann erstarre ich in Ehrfurcht vor mir selbst. Das Gehirn allein ist ein biologischer Supercomputer, der zur Zeit der Entstehung – also noch vor der Geburt  – bereits damit beginnt sich selbst zu programmieren, indem neuronale Verbindungen selbstorganisiert aufgebaut werden, die uns dann in die Lage versetzten unseren eigenen Körper mit unserem Willen zu steuern. – Hebe mal Deinen rechten Arm – siehst Du? – es funktioniert…jetzt erkläre mal genau, wie du das machst…das ist eigentlich in seiner Gänze schon fast unmöglich…also –  wie wird der Gedanke im Kopf geformt? – wie kommt die Informationen über die Nervenbahnen in den Muskeln an – wie wird genau zurück gemeldet, in welchen Maßen sich der Arm bewegt, wann weißt Du wann Du mit der Bewegung aufhören musst…Allein die Grobmotorik und die Feinmotorik zusammen belegen ca. 2/3 der Gehirnkapazität. Dazu kommt das Denken: es gibt das Bewusstsein – sozusagen der Teil im Hirn, den wir von uns selbst kennen, der unser Denken bestimmt, unsere Meinungen und unser Wissen umfasst also das, was sich im präfrontalen Kortex abspielt. Und dann kommt das Unbewusste dazu: Das, was wir gar nicht bewusst wahrnehmen, was uns aber in die Lage versetzt aus dem absoluten Informationsoverkill, der von unseren Sinnen in unserem Hirn ankommt, nur den Teil wahrzunehmen, der für uns relevant ist und daher letztlich dafür sorgt, dass wir überlebensfähig sind, da wir sonst keine Einordnungen und Priorisierungen und Bewertungen treffen könnten – wir letztlich nicht in der Lage wären die Welt um uns herum verstandesgemäß wahrzunehmen und zu  erkennen…. 

Wenn wir einen größenmäßigen Vergleich von Bewusstsein zum Unterbewusstsein machen wollten – angenommen unser Bewusstsein ist so lang wie eine Hand – mal grob gemessen 15cm – dann umfasst das Unterbewusstsein ein Strecke von 15km – also 0,15m zu 15.000m – welch unglaubliche Größe da „unter uns“ schlummert ist schon schwer vorstellbar…eine andere, gar nicht mehr zu fassende Größe ist die Zahl 5,8 Millionen Kilometer…5,8 Millionen Kilometer ist die Strecke, die sich ergeben würde, wenn man alle Nervenbahnen eines erwachsenen Menschen aneinander legen würde…irre, oder? – Das ist ca. 15 mal die Entfernung zwischen Erde und Mond – und das in jedem einzelnen von uns. 

So und jetzt stelle Dir mal vor, 11 von diesen komplexen Systemen bilden ein neues System und verfolgen ein gemeinsames Ziel…Das nennt man dann Fußball  – oder 9 komplexe Syteme bilden ein anderes komplexes System und arbeiten zusammen auf dem Weg zu einem Sprintziel – das nennt man dann Scrum-Team…

Wenn wir uns das mal auf der Zunge zergehen lassen und vor dem Hintergrund mal drüber nachdenken – welche Aufgaben, welche Systeme und welche Konstellationen sind dann eigentlich nicht komplex?

Technische Systeme, Maschinen, Autos, mechanische schweizer Uhren – das sind Systeme, die genau beschreibbar und verstehbar sind. Hier ist klar, welche Reaktion eintritt, wenn man etwas ändert oder wenn ein Teil nicht funktioniert – jedes Teil hat eine klar bekannte Aufgabe, die es erfüllt – wenn etwas nicht funktioniert, kannst du klar die Ursache herausfinden und das defekte Teil austauschen, und danach wird die Maschine wieder funktionieren oder wenn und aber. Diese Systeme sind kompliziert – oder vielleicht auch einfach. Klare Ursache-Wirkungs-Beziehungen und vorhersehbare, klare Ergebnisse.

Aber alles andere ist komplex oder auch chaotisch…Software ist so ein Grenzbereich – die Softwareerstellung ist ein komplexer Prozess – die Software selbst ist mindestens ein kompliziertes System. Aber auch Softwaresysteme können komplex werden, wenn mehrere Komponenten  – also Einzelsysteme miteinander verbunden werden. Dann kann nicht mehr klar vorhergesagt werden, wie sich der Systemverbund verhält, wenn sich einzelne Subsysteme ändern…

Allerdings benehmen wir uns oft so, als ob wir nur von maximal komplizierten Systemen umgeben wären…irgendwie hat sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine Meinung durchgesetzt, dass wir die Welt verstehen könnten, als wäre sie eine Maschine – Das hat sich beispielsweise auch auf die Medizin übertragen – Der Arzt ist der Mechaniker des Körpers – immer wenn etwas krank ist, gibt er eine Pille und danach läuft der Motor wieder. Oder es wird mal eben die Motorhaube aufgemacht und ein wenig dran rumgeschnippelt – und dann kann die Maschine wieder laufen. Wir erwarten immer, dass Experten alles wissen müssen und immer den Verlauf von Maßnahmen exakt voraussagen können sollen…dafür sind sie ja schließlich Experten – Obwohl ich das Wort ja nicht weiter strapazieren wollte, sehe ich das ganz besonders deutlich im Moment in der Corona Krise: Von den Virologen wird klar erwartet, zu wissen welche Maßnahmen helfen. Von den Politikern wird erwartet, dass sie Maßnahmen nur dann einleiten oder auch wieder aufheben, wenn ganz sicher ist, dass sie auch wirken oder eben welchen Effekt diese Maßnahmen haben…Seltsam, dass in den vielen Fernsehdiskussionen Virologen unterschiedliche Meinungen haben…auch Politker sind sich nicht einig – die müssen ja dann Idioten sein und verstehen vielleicht von ihrem Fach nichts…

Nein – das liegt daran, dass wir es hier mit einem komplexen Problem, zu tun haben, so wie wir es überhaupt bei den meisten Problemen der Fall ist –  dazu zählt dann auch das Projektmanagement. Wir haben es hier mit komplexen Problemen zu tun haben, bei denen Ursache und Wirkung eben nicht exakt voraussehbar ist…

Wir können nur experimentell vorgehen, um komplexe Probleme zu lösen – Anhand der Ergebnisse können wir lernen und weitere Experimente daraus ableiten…Das ist normal

Für Corona heißt das: Alle Maßnahmen und Entscheidungen, die eingeleitet oder getroffen wurden und noch werden, haben den Status von Experimenten…Keiner kann sagen, ob etwas richtig ist…das ist schlicht unmöglich…Und daher kann das auch keiner erwarten – Wir müssen letztlich davon ausgehen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung für oder gegen eine Maßnahme alles zur Verfügung stehende Wissen und guter Wille und Absicht eingesetzt worden sind, um diese Entscheidung zu treffen.  Zum Zeitpunkt der Entscheidung war diese Entscheidung richtig aber auch jede andere Entscheidung wäre richtig gewesen…

Den Effekt und die Auswirkung der Entscheidung sehen wir dann in den nächsten Wochen. Und das ist auch gut so…

Wir hatten bisher halt auch ziemlich viel Glück – ein paar Infektionsherde mehr in Deutschland und eine Situation wie in Italien wäre möglich gewesen oder ein paar Infektionsherde weniger und es liefe so milde ab wie in Schweden – aber alle Länder haben recht mit den Entscheidungen in ihrer jeweiligen Situation. So können wir auch als Vorteil sehen, dass wir eine Förderale Demokratie sind – die Länder können unterschiedliche Experimente durchführen und wir alle lernen voneinander. Die liberale und freizügige Aufhebung von Beschränkungen in einem Bundesland kann wichtige Erkenntnisse bringen – entweder es geht gut – dann hat das Bundesland „recht“ gehabt, oder es geht nicht gut, dann haben wir alle wichtige Erkenntnisse daraus gewonnen und können die anderen Bundesländer wissen, dass sie in ihrem Vorgehen effektiver waren. 

Auch – um hier mal wieder die Brücke zurück zu unserem agilen Themengebiet zu schlagen- im Projektmanagement sehen wir oft die gleiche Erwartungshaltung. Vom Projektmanager eines IT-Projekts wird erwartet, dass er sein Projekt plant, wie einen Hausbau. Der Hausbau ist allerdings eine komplizierte Aufgabe – komplex wird es erst, wenn wirklich was passiert,was nicht vorhersehbar wir – wie Bodenverwerfungen durch alte Bergwerksanlagen vieleicht, oder die beteiligten Firmen keine Erfahrung mit dem Bau von Gebäuden haben – in nenne hier mal den Berliner Flughafen als Beispiel – aber ansonsten ist ein Hausbau etwas, was die beteiligten Firmen schon einige Male geübt haben dürften und damit eine genau planbare Aufgabe mit einem erwartbaren Ergebnis. Softwareentwicklung ist eine komplexe Angelegenheit, da die Entwicklung von Software eine individuelle Leistung für einen speziellen Kunden oder ein neues Produkt ist. 

Fazit und darauf will ich eigentlich hinaus. Ich habe das Gefühl, dass wir zu einfach denken in unserer komplexen Welt. Die Welt ist komplex, war sie immer und wird sie immer bleiben. Wir sollten, nein – wir müssen das anerkennen um schädliche Diskussionen zu vermeiden, die letztlich zu nichts führen. Wir müssen Exprerimente zulassen und zu der Erkenntnis kommen, dass das das probate Mittel ist, um Probleme und Aufgaben zu lösen – und zwar die meisten. Die wenigsten Aufgaben sind kompliziert oder einfach – die meisten sind komplex. Darum sind ja auch Mannschaftssportarten so faszinierend, da alle Aktionen eines Trainers immer nur Experimente darstellen und er nie weiß, ob es funktioniert – denn neben dem hochkomplexen  System aus 11 komplexen Einzelsystemen (also seine Mannschaft) spielt ja auch noch ein zweites hochkomplexes System aus 11 weiteren Einzelsystemen mit, die ihre eigenen Taktik haben..

Wer will da denn noch was vorhersagen?

ich nicht…

soweit mit dieser etwas außergewöhnlichen Folge des agilophil-daily Podcasts – ich hoffe, sie hat Dir Spaß gemacht und regt dich zum philosophieren an…oder war einfach nur interessant…

Vielen Dank fürs Zuhören und viel Erfolg bei den anstehenden Experimenten

wünscht Dir

Dein agilophiler Frank